Kunsttherapeutin, Aktivistin und bald 3-fach-Mama Hannah Elsche über ihre Arbeit, kreatives Schaffen, Frauenrollen und Selbstbilder
Hannah Elsche ist Kunsttherapeutin M.A. und Heilpraktikerin für Psychotherapie mit eigenem Atelier in Berlin.
Schwanger mit Baby Nr. 3 sprechen wir mit Hannah über ihre Arbeit als Kunsttherapeutin, Selbstbilder und Identitäten, die Rolle der Frau sowie ihre Ziele und Visionen und merken schnell, dass wir noch ewig hätten weiter quatschen können.
1. Du bist Kunsttherapeutin und Heilpraktikerin für Psychotherapie. Wie kam es dazu?
Nach meinem Abi habe ich in Regensburg und Nürnberg Kunstpädagogik und Germanistik auf Lehramt studiert. Ich konnte mich allerdings nie so wirklich mit dem Beruf und der Idee, als Lehrerin zu arbeiten, anfreunden, da ich selbst leidenschaftlich gerne künstlerisch arbeite, aber das Schulsystem mit seinem Bewertungs- und Vorgabendruck so überhaupt nicht meinem Verständnis von Kunst entsprach.
Nach dem 1. Staatsexamen zog ich u.a. auf der Suche nach Alternativen nach Berlin und kam das erste Mal mit Kunsttherapie in Kontakt als mir eine Freundin, die selbst gerade Psychologie studierte, davon erzählte.
Ich bewarb mich für den Masterstudiengang Kunsttherapie an der Kunsthochschule Weißensee und wurde genommen. Innerhalb kürzester Zeit stellte ich fest, dass die kunsttherapeutische Arbeit mit Menschen genau das ist, was ich tun möchte.
Während und nach dem Studium arbeitete ich in unterschiedlichen Bereichen, musste aber wie viele Frauen schnell feststellen, dass es mir mit kleinen Kindern nicht immer leicht gemacht wurde, eine Stelle zu bekommen oder zu arbeiten.
In Deutschland ist das so eine Sache mit der Selbstständigkeit bei nicht von den gesetzlichen Krankenkassen zugelassenen Therapien. Ein Ausweg ist der Heilpraktikerschein für Psychotherapie, den ich dann relativ zügig machte. Mehr besagt dieser aber auch nicht. Er ist wie eine Art Führerschein und berechtigt mich lediglich dazu, psychotherapeutische Heilkunde anzuwenden und mit privaten Krankenkassen und einigen wenigen gesetzlichen Krankenkassen abzurechnen.
Und so setzte ich die Idee der Selbstständigkeit etwas schneller um, als geplant. Seit etwas mehr als einem Jahr bin ich nun selbstständig und arbeite mit Frauen rund um die Themen Schwangerschaft, Geburt, Kinderwunsch, nach (traumatischen) Geburtserfahrungen oder nach einem Verlust. Mein Anliegen ist es, durch Kreativität und das Sich-selbst-als-handlungsfähig-Erleben ein Stück Autonomie und Selbstbestimmung zurückzugeben an einem Punkt, an dem sich alles verändert. Der Weg bei mir ist das künstlerische Schaffen.
2. Hat Kunst schon immer eine wichtige Rolle in deinem eigenen Leben gespielt?
Definitiv. Ich kann mich eigentlich nicht daran erinnern, dass ich jemals groß etwas anderes werden wollte als Künstlerin, ob brotlos oder nicht war mir eigentlich egal.
Bereits als Kind habe ich mit Vorliebe gezeichnet, gemalt und mit Ton gearbeitet. Dabei wurde ich von meinen Eltern unterstützt und durfte lange Jahre einen Zeichen- und Töpferkurs besuchen.
Kunst hat in meinem Leben nach wie vor eine sehr hohe Bedeutung. Zum Einen betrachte ich sie natürlich gerne, aber gerade das künstlerische Arbeiten ist Lebenselixier, Kraftresort, Inspiration, Pause, immer wieder Herausforderung und natürlich auch ein Ventil und eine Möglichkeit der Verwertung täglicher Eindrücke.
Ich bin der festen Überzeugung, dass viele dieser Anteile auch anderen Menschen zugängig gemacht werden können und diese erfahren können, wie sie künstlerisches Schaffen für sich nutzbar machen können.
3. Du bist selbst Mutter von zwei Kindern. Spielen deine persönlichen Geburtserlebnissen eine Rolle in deiner Arbeit? Teilst du persönliche Erfahrung mit deinen Kunden, um ihnen zu helfen?
Ich habe für mich sehr genaue Grenzen gesetzt, was ich preisgebe und was ich für mich behalte. Ich sehe es so, dass jede*r von uns sein Päckchen zu tragen hat, eine Vergangenheit, eine Familie, Freunde, schöne und schreckliche Erlebnisse hat, die uns, unser Leben und unser Handeln für immer prägen. Ich bin da natürlich keine Ausnahme.
Natürlich spielen meine persönlichen Erlebnisse aber insofern eine Rolle, dass sie mich überhaupt erst auf meinen Weg geleitet haben. Dazu gehören in jedem Fall meine Geburtserlebnisse. Mir geht es gut damit, sie und andere grundlegende Erfahrungen in reflektierter und ausgewählter Form zu teilen.
Es handelt sich ja auch immer nur um Ausschnitte. Das meiste behalte ich für mich, denn es sollte keine Rolle in meiner Arbeit spielen und den Aufbau einer (therapeutischen) Beziehung beeinflussen. Konkret heißt das, dass ich darüber berichten kann, dass ich bereits einen Kaiserschnitt hatte, dass ich diese Geburt eher als traumatisch empfunden habe und dass ich danach noch eine vaginale Geburt erlebt habe. Jede*r kann wissen (und es natürlich auch sehen), dass ich wieder schwanger bin und auch wann in etwa mein Baby zur Welt kommen wird. Auch alles, was meinem Gegenüber dabei helfen kann, sich zu öffnen, erzähle ich in Ansätzen gerne.
Wenn zu viele Nachfragen kommen, ist das ja auch eher ein Grund mal zu gucken, warum von den eigenen Erlebnissen vielleicht abgelenkt werden soll. Der Grundsatz dahinter ist, dass es in einer Therapie ausschließlich um die Klient*innen gehen sollte. Hier dürfen sie sein, so wie es ihnen gerade geht. Sie stehen im Mittelpunkt. Vom Prinzip her geben die Klient*innen die Themen vor, sie sind diejenigen, um die sich alles dreht, sie sind die Expert*innen in ihrer individuellen Erlebniswelt, die meine volle Aufmerksamkeit, meine Profession und mein künstlerisches Knowhow erfahren. Alles andere ist für die Therapie unwichtig.
4. Wie kann man sich deine Arbeitsalltag vorstellen? Kannst du genauer beschreiben wie die Kunsttherapie abläuft.
Mein Arbeitsalltag ist durch die Selbstständigkeit sehr bunt. Ich muss zugeben, dass die eigentliche kunsttherapeutische Arbeit leider die geringste Zeit in Anspruch nimmt, aber das ist vermutlich in der Freiberuflichkeit überall gleich. Deswegen erzähle ich lieber, wie eine Kunsttherapie-Sitzung abläuft:
Ich biete sowohl Workshops für mehrere Personen als auch Einzelsitzungen an. Die eintägigen Kreativworkshops enthalten kunsttherapeutische Elemente, ersetzen aber keine Therapie.
Die Klient*innen, die regelmäßig in eine Therapie kommen, sollten mindestens fünf Mal kommen. Denn es gibt wie in jeder Therapie oft erstmal einen Einbruch nach Beginn und Erkenntnisse, die nicht unbedingt angenehm sind, und diese möchte ich gerne auffangen, damit sie in der Kunsttherapie und nicht ungeklärt bleiben.
Zu Beginn frage ich danach, wie es geht, wie die Woche war, was für Themen mitgebracht wurden. Danach beginnt bereits der kreative Arbeitsprozess.
Alles, was entsteht kommt von den Klient*innen. Ich habe eine tiefenpsychologische Form der Kunsttherapie gelernt. Das heißt ich arbeite psychodynamisch, also an Freud angelehnt, mit analytischen Aspekten und vor allem nondirektiv. Bei mir gibt es keine Themen und Vorgaben. Alles darf geschehen, nichts muss, alles ist willkommen und mit allem können wir arbeiten.
Ich biete eine kreative Arbeitsatmosphäre, die zum Ausprobieren einlädt, viele verschiedene Materialien und meine Profession als Künstlerin und Kunsttherapeutin. Ich erwarte und bewerte nichts. Es muss auch wirklich nichts bei dem Prozess herauskommen, schon gar kein "schönes" Bild.
Immer wieder kommen Klient*innen, die von sich sagen, sie können nicht malen, die nicht gewohnt sind, dass sie nicht bewertet werden, die sehr hohe Ansprüche an sich selbst haben oder sich selbst unter Druck setzen – wie im realen Leben eben auch. Meist erleben sie den kreativen Zugang in der Kunsttherapie als etwas sehr beflügelndes und positives und fühlen sich in ihrer Kreativität bestärkt.
Frauen, die das erste Mal kommen und noch etwas unsicher sind, versuche ich erst einmal über die Materialerfahrung einen Zugang zu bieten und lasse sie ausprobieren. Meist entwickelt sich dann schnell etwas und häufig gibt es bereits ab der 2. Sitzung Ideen, die mitgebracht werden. Ich unterstütze dabei, wie die Materialien genutzt werden können, aber nicht dabei, was entsteht.
Am Ende der Stunde oder des Workshops unterhalte ich mich mit den Klient*innen über das Entstandene und über den Prozess. Ich interpretiere nichts von mir aus in die Bilder hinein. In der Regel kommt alles aus den Klient*innen selbst. Es muss auch gar nicht zum Thema Schwangerschaft oder Geburt sein, aber meist sind das natürlich die Gründe, warum die Frauen kommen. Die Teilnehmer*innen sehen in ihren Bildern immer etwas und sind ganz überrascht, was sie selbst erkennen. Ich spiegele ihnen dann, was ich beim Prozess beobachten konnte, zum Beispiel, wenn es an einer Stelle schwieriger war oder ich das Gefühl hatte, das etwas stockend war oder sie sehr gut zurechtgekommen sind. Und ich gehe auf das, was sie mir erzählen, ein.
Sie sind und bleiben aber Expert*innen für ihre inneren Bilder und sollen mit einem guten Gefühl nach Hause gehen. Es gilt zu erkennen, dass es Wege gibt, dass sie Ressourcen haben, mit denen sie handeln können. Das Wichtige in der Kunsttherapie ist, dass die Klient*innen sich als tatkräftig erleben, dass sie sehen, dass sie etwas geschafft haben und aus der Lähmung herauskommen. Dass sie etwas Inneres nach Außen getragen haben, was nun sichtbar ist, was sie sich angucken oder verändern können. Wenn ihnen das Bild nicht gefällt, können sie es auch zudecken oder aktiv verändern, indem sie beispielsweise etwas darüber malen. An einem Bild kann gearbeitet und genau dieses Gefühl kann dann in den Alltag übertragen werden.
5. Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten Elemente, die Kunst als Therapieform erfolgreich machen?
Ich würde sagen, dass Kunst etwas sehr Basales ist. Es handelt sich um eine der ältesten und ursprünglichsten menschlichen Ausdrucksmöglichkeiten und das über alle Kulturen hinweg. Schon als Kind versuchen wir uns mit Zeichen, Farben und Stift auszudrücken. Wir lassen diesen spielerischen Zugang zwar irgendwann hinter uns, aber das Instinktive bleibt dennoch bis zu einem gewissen Grad erhalten und kann durch entsprechende Reize und während eines kunsttherapeutischen Prozesses wieder hervorgeholt werden. Denn beim kreativen Schaffen werden so viele Gefühle und Instinkte geweckt, für die wir häufig gar keine Möglichkeit für den Ausdruck haben.
Zudem entsteht etwas Externalisiertes, etwas, das bleibt, das die Gefühle, die zu dem Zeitpunkt da waren, auch noch Jahre danach greifbar und sichtbar macht. Die Arbeiten aus der Kunsttherapie können wieder herausgeholt oder auch versteckt werden. Auch das kann gut tun. Einige Frauen lassen ihr Werk weggepackt, andere hängen das Bild vielleicht im Schlafzimmer auf.
Ich halte das für einen der größten Vorteile der Kunsttherapie: Etwas tun, aktiv sein, etwas erschaffen und es dann sichtbar vor sich haben.
Die Möglichkeit über den Weg des kreativen Schaffens anderen Menschen helfen zu können und ihnen Zugang zu ihrer inneren Erlebniswelt eröffnen zu können, finde ich eine wundervolle und faszinierende Herangehensweise. Gerade im Zusammenhang mit den Themen Selbstbestimmung und Ressourcenaktivierung kann Kunsttherapie fantastische Ergebnisse erzielen und zugleich bleibt auch noch der handwerkliche Charakter erhalten.
Daneben kann wirklich jede*r künstlerisch arbeiten. Die Herangehensweise benötigt erst einmal keine Introspektions-, Reflexions- oder Sprachfähigkeit. Dadurch ist sie sehr inklusiv.
6. Du hast dir selbst die Frage gestellt: "Was bewegt uns dazu “gute Schwangere”, “gute Mütter”, „gute Partner*innen“ oder “gute Töchter” sein zu wollen?"
Ich glaube, dass viele von uns unter dem Druck stehen oder ihn sich selbst machen, es vermeintlich anderen recht machen oder einem gesellschaftlichen Bild entsprechen zu müssen. Dabei neigen wir dazu, über uns selbst hinwegzugehen, obwohl wir an unsere persönlichen Grenzen oder darüber hinausgehen oder uns anders verhalten, als es unserem Bauchgefühl entspricht.
Gerade bei Schwangeren oder Müttern nimmt das noch einmal extreme Ausmaße an, obwohl das natürlich keine Phänomene sind, die plötzlich im Bereich des Kinderkriegens auftauchen. Wir kennen sie aus vielen anderen Bereichen und haben bereits ab dem Kleinkindalter gelernt, uns angepasst zu verhalten, denn wir brauchen das Gefühl, dazu zu gehören oder lieb gehabt zu werden.
Beeinflusst wird unser Selbstbild, unsere Identität und unser Verhalten nicht nur durch das familiäre Umfeld, auch gesellschaftliche Bilder, Medien, Werbung, Schule, manchmal auch Kirche oder ähnliches prägen uns sehr stark. Wir sind mit dem Gefühl aufgewachsen, bestimmten Erwartungen entsprechen zu müssen, um uns gut in die Gesellschaft einzufügen. Das passt natürlich nicht immer mit unserem Leben und unseren wirklichen Bedürfnissen zusammen.
Gerade im Zusammenhang mit Kindern, wo Authentizität und Natürlichkeit so hoch angesetzt werden, merken wir häufiger, dass das, wie wir uns verhalten oder verhalten haben, ganz weit weg von uns ist. Und dieser Zwiespalt führt dann leider dazu, dass wir uns elend fühlen, ein schlechtes Gewissen entwickeln und den Fehler bei uns suchen. Wir wollen nicht, dass es auf uns zurückfällt, denn eigentlich wollen wir doch nur nach wie vor unbedingt selbst geliebt werden und dazu gehören.
Um für unsere Kinder da zu sein, reicht es aber vollkommen aus, eine „ausreichend gute Mutter“ (nach Winnicott) zu sein, die in der Lage ist, auf die Bedürfnisse ihres Babys einzugehen, zumindest so weit, dass sich das Baby nie komplett verlassen fühlt. Und das ist das Entscheidende daran.
Es geht darum, Kompromisse zu finden, die eben für alle ausreichende Optionen bereithalten und nicht darum, es allen recht zu machen, sondern es geht darum, da zu sein, den wichtigsten Bedürfnissen nachzukommen, zu verstehen und auch Konflikte, Krisen und Frustration auszuhalten. Denn um diese können und dürfen wir und unsere Kinder auch nicht herumkommen. Das wichtige, und das gilt insbesondere bei Kindern, ist in Beziehung zu bleiben. Das können wir auch auf alle anderen Lebensumstände ummünzen.
Unsere Bedürfnisse, Gefühle und unser Handeln sind nämlich in Ordnung und dürfen sein. Gerade im Bereich Kinderkriegen ist es wichtig, dass wir unseren eigenen Weg finden und ihn auch gehen können. Das sind wir uns und unseren Kindern schuldig und auch nur darüber werden wir zu ausreichend guten Eltern. Es ist mit Sicherheit nicht der einfachste Weg, aber es lohnt sich, ihn zu gehen.
7. Machen wir Frauen uns oft selbst zu viel Druck und erwarten von jetzt auf gleich die "perfekte Mama" zu sein zu müssen? Was hat das für Auswirkungen?
Definitiv tun wir das. Aber ich würde es nicht so einseitig betrachten und die Schuld alleine bei uns Frauen suchen.
Tatsächlich ist es so, dass natürlich niemand unvorbereitet in die neue Rolle als „Mama“ schlüpfen will und so suchen wir uns Vorbilder, überlegen uns bereits im Vorfeld, wer und wie wir gerne sein wollen und denken uns, dass wir durch die richtige Vorbereitung automatisch in die Rolle der guten, fürsorglichen Mutter schlüpfen werden. Natürlich ist diese Vorbereitung wichtig und sie bereitet auch den Boden, uns auf die neue Rolle einzulassen. Aber wirklich vorbereiten ist hier einfach kaum möglich. Meist spielen vor allem die körperlichen Veränderungen in der ersten Schwangerschaft eine Rolle und dann werden Angebote, wie Yoga, Fotoshootings etc. wahrgenommen und immer wieder suggeriert, dass, wenn dies alles nicht gemacht wird, das ein Zeichen dafür ist, dass nicht alles für das Kind getan wird…
Die psychischen Veränderungen stehen leider erst einmal nicht im Vordergrund bzw. werden ignoriert. Der Druck, der dann irgendwann zu viel wird, kommt schleichend und kann weitreichende Folgen haben.
Frauen, die nicht gerne schwanger sind, die die psychischen Veränderungen oder Ängste extrem wahrnehmen, fühlen sich häufig außen vor und stehen unmittelbarer unter dem Druck, ein gewisses Bild erfüllen zu müssen oder zu versagen.
Die Feststellung, dass der eigene Anspruch nicht aufrecht erhalten bleiben kann, trifft viele Frauen bzw. Familien oft hart im 1. Lebensjahr des Kindes. Plötzlich sind andere Dinge wichtig oder die Rollenverteilung in der Beziehung hat sich verändert. Die Veränderungen müssen ihren Raum finden. Wer bin ich überhaupt als Mutter, als Schwangere, als Elternteil? Wie funktioniert das Leben zu dritt überhaupt? Eifere ich einem bestimmten Rollenbild nach, wie sehr beeinflussen mich und meine Partnerschaft gesellschaftliche Vorgaben, mache ich mir oder uns zu viel Druck?
Das hört erst einmal nicht wieder auf. Es ist etwas, was sich durchgehend weiterentwickelt und dynamisch funktioniert. Es hilft auch nichts, nur an einer Baustelle zu schrauben. Spätestens mit der Geburt eines Kindes haben wir ein System geschaffen, in dem es ein Gleichgewicht geben muss.
Ich wünsche mir, dass Frauen sich davon emanzipieren, bestimmten tradierten Werten entsprechen zu müssen. Erst wenn sie für sich selbst wissen, was ihnen persönlich wichtig ist und dass sie selbst wichtig sind, wenn sie für ihre Rechte einstehen und sich um sich selbst kümmern, können sie ihren Weg gehen und werden unverwundbarer.
Der Begriff der genügend guten Mutter könnte viel Druck rausnehmen. Denn wir müssen nicht 120% unser Bestes geben. Wir sind gut genug.
8. Was ist deine Vision und wie sehen deine weiteren Pläne für die Zukunft aus?
Meine kurzfristigen Pläne sind relativ einfach: Ich werde nun erst einmal in Elternzeit gehen und das kleine Menschlein, das da zu uns kommt, in Ruhe kennenlernen und uns als Familie Zeit geben, neu zusammenzuwachsen. Wobei ich zugeben muss, selbst für diese Zeit schon wieder berufliche Pläne zu schmieden. Ich bin nicht so richtig gut darin, still zu sitzen und meine Selbstständigkeit ruhen zu lassen… Denn zugegebenermaßen werden meine Ideen eher mehr als weniger.
Mit meiner Arbeit möchte ich nicht nur kunsttherapeutisch einen Ort schaffen, an dem sich Frauen wohl und umsorgt fühlen können, wo alles erlaubt ist, alles bleiben darf, alles ausprobiert werden kann und einfach nur Spaß am kreativen Gestalten entstehen kann. Meine Vision ist es, auch im übertragenen Sinn einen Ort bereit zu stellen, an dem es ok und selbstverständlich ist, einfach zu sein, Verständnis zu erfahren, Gefühle auszusprechen und zu erfahren oder sich einfach mal etwas Gutes zu tun.
Konkret stelle ich mir irgendwann einmal eine Gemeinschaftspraxis oder Projekte vor, in denen ein interdisziplinäres, starkes Team aus klugen und visionären Frauen arbeitet, die ein ähnliches Verständnis von mentaler Gesundheit rund um die Themen Schwangerschaft und Geburt haben, Hand in Hand zusammenarbeiten und damit auch politisch, daran mitarbeiten, dass Frauen in unserer Gesellschaft besser und gleichberechtigter gestellt sind, damit sie selbstbestimmt und in Ruhe gebären können, so, wie sie es sich wünschen. Ziel wäre es, dass Frauen die Anerkennung, die ihnen zusteht, erfahren ohne von Altersarmut, Fremdbestimmung, Traumata und Alleinsein betroffen zu werden, nur weil sie z.B. Kinder bekommen haben - was ja eigentlich das Normalste und Natürlichste der Welt sein sollte.
Das ist noch eine Vision, an der ich arbeiten will und als Aktivistin bei Mother Hood e.V., wo sich unglaublich viele tatkräftige, aufgeklärte und kluge Frauen engagieren, geschieht das bereits auf der ehrenamtlichen, politischen Ebene.
Den realen Raum gibt es mit meinem Atelier bereits, die darüber hinausgehende Vision ist zumindest im Aufbau und die Synergien und die Frauensolidarität, die gerade in den sozialen Netzwerken und im realen Leben entstehen, beeindrucken und beflügeln mich sehr darin.
Denn über die eigentliche Arbeit hinaus möchte ich gerne dabei helfen, gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen, indem Verständnis und Akzeptanz für weibliche und queere Lebensentwürfe und Situationen entstehen.
9. Last but not least - wir wissen, dass du schon einige mara mea Teile im Kleiderschrank hast. Was ist dein aktuelles Lieblingsteil?
Eigentlich warte ich darauf, endlich nur noch Kleider tragen zu können, aber der Sommer lässt wohl in diesem Jahr auf sich warten und langsam gehe ich nicht mehr davon aus, eine Sommerschwangerschaft erleben zu dürfen.
Ich habe den Winter nun aber ganz gut mit Röcken überbrückt. Röcke mit Gummiband, wie Euren wild horses (ich liebe auch einfach die Farbe!) oder den full bloom Rock waren und sind meine absoluten Lieblingsteile, weil sie toll zu kombinieren sind und es nichts ausmacht, wenn die Oberteile darunter nicht mehr über den Bauch reichen. Ich gehe davon aus, sie noch lange nach der Geburt tragen zu können. Sie sind gemütlich und ein ziemlicher Hingucker. Außerdem funktionieren sie super zu flachen Schuhen und Sneaker.
Liebe Hannah - wir hatten uns sehr auf das Interview mit dir und deine Antworten gefreut und danken dir herzlichen für deine Zeit und das super spannende und ausführliche Interview! Ich bin mir sicher, dass wir uns wieder sprechen werden.
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